„Spawn“ von Michael Golden in Deutschland:
Vor kurzem weckte ein Zeichner meine Aufmerksamkeit, von dem ich schon lange nichts mehr gehört hatte: Michael Golden. Er hat an der in Deutschland aktuell veröffentlichten „Spawn“-Ausgabe nicht sehr spektakulär mitgewirkt, war aber in den 70er und 80er Jahren einer der besten und vielversprechendsten amerikanischen Superhelden-Zeichner. In Deutschland ist er kaum bekannt. Das liegt mit daran, dass seine wichtigsten Serien hier gar nicht veröffentlicht wurden. „The Nam“ und „G.I.-Joe“ waren zu amerikanisch-militaristisch, um hier Fuß zu fassen zu können, obwohl „The Nam“ mal eine sehr „heiße“ und viel diskutierte Serie in den Staaten gewesen ist. Auch „Howard the Duck“ war in Deutschland nie kultverdächtig.
„The Micronauts“: Comicbook-Serie nach japanischen Action-Figuren
Sein größter Erfolg, „The Micronauts“ (die klassische Serie lief von 1979-1984 bei Marvel und erlebte bis 2006 bei verschiedenen Verlagen Neuaufgüsse), war damals für den deutschen Markt, der nur langsam und mit relativ wenigen Serien zum Geist der Superhelden fand, zu ungewöhnlich und wurde später auch in den USA nicht konsequent fortgeführt. Es ist zu bedauern, dass „The Micronauts“ hier nicht erschienen sind, da sie grafisch und von der Farbgebung her neues bot. Golden fand dabei von einem klassisch-ernsten – an Bernie Wrightson orientierten – Stil zu einem modernen, locker-funnymäßigen, der ihn im Sinne eines Comic-Zeichen-Künstlers wie Alex Toth als Könner der effektiven Form auswies. Die unterkühlt-zurückhaltende Art der Tothschen Schraffur ist einem Teil der Arbeiten Goldens gemein. In seiner spezifischen Art erinnert er auch an die zeichnerische Ökonomie und Formvollendung eines Will Eisner beim Zeichnen des „Spirit“, auch wenn der durch seine gefühlvoll-virtuosen Pinselstriche wirkte, während Golden gerade in seiner Spätphase eine sachliche Strich- und Schraffurtechnik einsetzt.
Ein früher Höhepunkt: „Doctor Strange“ von Michael Golden
Doch Michael Golden ist wandlungsfähig, äußerst produktiv und in den USA ein Zeichner-Star, auch wenn er stets die Öffentlichkeit gemieden und keinerlei Eigenmarketing betrieben hat – ein Novum in Amerika. Das grafische Meisterwerk, mit dem Golden immer noch in Zusammenhang gebracht wird, ist „Doctor Strange“, eine Figur, bei der schon immer abgedrehtes Art-Work im Vordergrund gestanden hatte. Das von Michael Golden gezeichnete Heft der amerikanische Ausgabe 55 der Marvel-Serie von 1974 beherbergt eine der besten Zeichen-Leistungen, die man selbst bis heute in einem Comicbook finden kann. Mit dazu beigetragen hat Tuscher Terry Austin, der zu diesem Zeitpunkt den visuellen Höhepunkt seines Multi-Strich-Präzisions-Inkings erreicht hatte. Daneben hat Michael Golden 1983 ein „Dr. Strange“-Portfolio vorgelegt, das grafische Bezüge zu den beiden „Frankenstein“-Portfolios von Bernie Wrightson von 1977 und 1978 herstellt, die neben wenigen anderen Wrightsons absolut beste Arbeiten sind und somit ein gutes Vorbild für viele andere Comic-Zeichner abgaben.
Kongeniale Zeichner-/Tuscher-Teams bereichern das Medium „Comic“
Terry Austin hatte vorher zusammen mit John Byrne lange Zeit ein Dream-Team bei „X-Men“ gebildet. Zu Zeiten als Zeichner noch eine längere Strecke von Comic-Books hintereinander zeichnen durften und so nicht nur der Serie ihren unverwechselbaren Stempel aufdrücken und ihren Stil von Grund auf entwickeln konnten – wie Jack Kirby bei den „Fantastic 4“ oder Barry Windsor-Smith bei „Conan“ – gab es ein paar Zeichner-/Tuscher-Teams, die Geschichte geschrieben haben und sich kongenial ergänzten. Dazu gehörten neben dem genannten, Jack Kirby und Joe Sinnott sowie John Buscema und Joe Sionnott bei Titeln wie „Fantastic 4“, „Thor“ und „Silver Surfer“, danach für eine nur sehr kurze Kooperations-Spanne Neal Adams und Tom Palmer bei „The Avengers“/„Die Rächer“in späteren Zeiten Jim Lee und Scott Williams bei „Punisher“ und „X-Men“, heutzutage Ed McGuinness und Dexter Vines bei „Superman“ oder Dough Mahnke und Christian Alamy bei „Green Lantern“/„Grüne Laterne“. Die kontinuierliche Zusammenarbeit dieser Teams hat Sternstunden der Comic-Zeichenkunst ermöglicht. Michael Golden teilt hingegen das Schicksal vielen anderer Zeichner: Ob er wie in der aktuellen Spawn-Ausgabe von Todd McFarlane getuscht wird und dabei gar nicht mehr wie er selbst wirkt oder ob er bei der neuen Batman-Miniserie aushilft, die Neal Adams vorgezeichnet hat und er nur getuscht hat – eine weitreichende grafische Focussierung, die wirklich Besonderes entstehen lässt, findet so nicht statt.
Der „Star“-Zeichner Michael Golden und seine große Produktivität
Mit Michael Golden bringt man an großen Comichelden-Namen neben „Dr Strange“ vor allem „Batman“ in Verbindung, er hat ihn einige Male für unterschiedlichste Serien und Projekte gezeichnet, außerdem mit dem in Deutschland kaum bekannten „Bucky O’Hare“ und auch mit dem „Punisher“. Tatsächlich gibt es aber kaum eine Superhelden-Figur, die er nicht schon gezeichnet hätte. Das Oeuvre Goldens ist kaum überschaubar, was seltsam anmutet, wenn man bedenkt, dass er in Deutschland praktisch ein Nobody ist. Immer wieder war er aus der Comic-Book-Szene ausgeschert, um für den Spiel- und Zeichentrick-Film zu arbeiten oder für die Entwurfe von Action-Figuren, Trading-Cards oder CD-Cover. In den letzten Jahren hat Michael Golden sich im Comic-Bereich als Comicbook-Cover-Zeichner spezialisiert.
Die Kunst des Comicbook-Covers: Auf den Punkt gebracht
Das Cover eines Comic-Heftes ist wie seine Verpackung, es verkauft das Heft. Cover-Zeichner müssen schnell, professionell und höchst emotionalisierend die Story des Heftes auf den Punkt bringen. Sie arbeiten tendenziell ikonografisch, das heißt sie arbeiten sehr konzentriert das Wesentliche heraus – wie geschaffen für Michael Golden, der meisterlich einfache Formen innerhalb komplexer grafischer Arrangements zeichnen kann. So ist eine seiner Spezialitäten die Illustration von Massenszenen, auf denen zahlreiche Heldinnen und Helden eines Verlages zu sehen sind. Solche „Wimmelbilder“ zu schaffen und dabei noch eine grafische Klarheit zu erreichen, ist alles andere als einfach. Michael Golden brilliert auch hier.
Zwischen „Kirby“- und „Adams“-Phase: Die neue Zeitrechnung
Bei den Superhelden-Comics unterscheidet man zeichnerisch sehr grob zwischen der „Kirby-Phase“ und der „Adams-Phase“. Jack Kirby hat im wesentlichen zwischen Ende der 1950er Jahre und Ende der 1970er Jahre ein prägendes zeichnerisches Werk vorgelegt, das damals praktisch jeden amerikanischen Superhelden-Zeichner beeinflußt hatte. Man bedenke, dass die ersten Comics solcher Könner wie Frank Miller, Barry Windsor-Smith oder Jim Steranko aussahen, als wären es direkte Kirby-Kopien. Kirby hatte einen einfachen, unrealistischen und hyper-dynamischen Stil, der mit dick-modulierten Strichen und einer differenzierten Flächigkeit ein Optimum an Wirkung erreichte. Neal Adams kreierte danach einen genauso dynamischen Stil, der aber detailreich und feinstrichiger war.
Zwischen Realismus und Märchen: Der neue Zeichen-Stil
Es ging um mehr Naturalismus in der Darstellung, der Zeichner wollte der Wirklichkeit näher kommen. Das lag quasi in der Luft, weil auch die Geschichten immer mehr den Anspruch hatten, die Wirklichkeit abzubilden und nicht mehr nur gewalttätige Märchen zu erzählen. Der Ansatz von Neal Adams, mit vielen dünnen Strichen seine Werke fein auszuarbeiten, sollte ab da die neue Art zu zeichen vorgeben. Anstatt einiger weniger gewaltiger Pinselstriche a la Chic Stone oder Joe Sinnott waren nun viele kleine up to date, die die Darstellungen differenzierter erschienen ließen. Die althergebrachte Dynamik wurde mit ganz anderen Mitteln erreicht. So wie man sich als junger Zeichner vorher nicht an der Ästhetik Jack Kirbys vorbei kam, so war es nun das Werk von Neal Adams, mit dem man sich auseinanderzusetzen hatte – das gilt bis heute. Adams nahm zeichnerisch den Faden auf, den Burne Hogarth mit den späten „Tarzan“-Sonntags-Seiten und „Alex Raymond“ mit den „Flash Gordon“-Sonntagsseiten vorgesponnen hatten. Vergleicht man beispielsweise die Schönheit und Perfektion der Raymondschen Strichführung in der Spätphase von „Flash Gordon“ mit der Klarheit und Formvollendung des Tageszeitungsstrips „Ben Casey“, den Adams zwischen 1962 und 1966 gezeichnet hatte, wird der Einfluß offenkundiger.
Zwischen den Welten: Von ernst zu funny
Michael Golden wird dem Neal-Adams-Zeitalter zugerechnet, was im Kern richtig ist. Dennoch hat er, gerade wenn es um die Fähigkeit zu abstrahieren geht, ebenfalls von Jack Kirby gelernt. Manchmal macht Golden sich offenbar sogar einen Witz daraus, den kirbyschen Zeichenstil zu paraphrasieren. Zudem gehen im Werk Michael Goldens realistische und karikierende Darstellungen eine Synthese ein. Er hat nicht von ungefähr erfolgreich „Howard the Duck“ gezeichnet, eine Art schräger und erwachsener Verwandter der Disney-Entenhausener. Der Anspruch Goldens erinnert einmal mehr an Will Eisner, an Jim Steranko oder Howard Chaykin – kurz: Es ist ganz typisch für amerikanische Könner im Superhelden-Millieu, dass sie schlafwandlerisch sicher und bewußt spielerisch zwischen ernsten und lustigen Darstellungsformen wechseln können. Das zeichnet nicht nur die genannten aus sondern auch Zeichner-Superstars wie Frank Miller (siehe: „Dark Knight“), Bill Sienciewicz (siehe: „Electra:Assassin“) oder Simon Bisley (siehe: „Lobo“). Dieses Hin- und Herdriften zwischen Ernst und Humor ist eine sehr charakteristische Eigenschaft vieler amerikanischer Comic-Zeichner.
Zwischen allen Stühlen: Best of both worlds
Michael Golden also, der illustrativ zwischen den Zeichenstilen, zwischen den Genres, zwischen Anspruch und Unterhaltung wandelt, hat die Bildsprache der heutigen Comics unspektakulär mit beeinflußt. Man kann ihn sich historisch als Scharnier zwischen den Könnern der alten Zeiten zwischen 1950 und 1970 und den Könnern der Neuzeit ab 1980 bis heute denken. Er vereint in seinem Wirken die explosive Dynamik eines Jack Kirby, die grafisch reduktionistische Trockenheit eines Alex Toth mit dem analytisch-differenzierten Naturalismus eines Neal Adams und hat auch Grundlagen für den Hyper-Realismus eines Jim Lee gelegt. Wie gut Michael Golden wirklich ist, ist für einen Europäer nicht ohne Weiteres erkennbar, weil sein Werk über zu viele Projekte nicht nur im Bereich der Comic-Books verstreut liegt. Und natürlich verfälschen die Erfordernisse und oft fragwürdigen Ansprüche des Kommerzes sein Werk. Doch zwischen all den Stühlen sieht man immer wieder das große Talent, das er sich bis heute bewahrt hat.