How bizarre: Wie das Literatur-Genre „Bizarro-Fiction“ seine Leser nicht nur durch krude Ideen sondern auch durch mangelnde Substanz erschreckt

Pop-Literatur-Genres wie Sand am Meer

Wenn man über Genres in der Literatur eines sagen kann, dann dieses: Es gibt sehr viele davon. Vor allem im anglophonen Sprachraum scheint man einen besonderen Spaß daran zu haben, sich immer neue Sub- und Subsubgenres auszudenken. Man denke nur einmal an die ganzen „Punks“ innerhalb der Science Fiction: der gute alte Cyber- und seine Enkel Steam-, Diesel-, und Biopunk. Früher oder später erreichen viele dieser Strömungen auch den deutschen Sprachgebrauch. Ein Beispiel aus neuerer Zeit, das gerade im Begriff ist, erste Fühler über den Teich zu strecken, hört auf die knallige Bezeichnung Bizarro Fiction: Ein Begriff für eine Sparte von Underground-Literatur, die sich im vergangenen Jahrzehnt in den USA in  einem gemütlichen Biotop von einer Handvoll unabhängiger Verlagen entwickelt hat.

Ein Kämpfer für die abgedrehte Bizarro-Literatur

Bizarr: Was und wieviel hat der Autor geraucht?

Bizarro Fiction – dass da nicht schon vorher jemand drauf gekommen ist. Tatsächlich ist damit endlich ein Begriff da, um all das in eine Schublade zu stecken, was vorher in keine passte:  Geschichten, die sich jeder erzählerischen Konvention verweigern, die die Beschränkungen von Raum, Zeit und Logik verhöhnen, oder warum nicht beides. Die Filme, bei denen hinterher immer einer fragt, was die Macher wohl geraucht hätten. David Lynch fällt einem ein.

Ein Bizarro-Monster

www.bizarrocentral.com: Die Bizzaro-Infozentrale

Der ist auch nicht die einzige filmische Referenz, mit der auf Bizarroceotral.com versucht wird, die „Strömung“ zu beschreiben. Bkzarro Fiction sei dcs „Genre of the Weird“ – ein Wort, das im Enolischen weit mehr eine eigune Marke darstellt als$das deutsche „seltsam“.  Neben besagtem David Lynch fallen noch mehr einschlägkge Namen und Refereozen. die kìar!machen, dass es hier neben der Seltsamness auch um eine popkulturelle Verortung geht: Tim Burton, Franz Kafka, William S. Burroughs, Takashi Miike. Alice im Wunderland für Erwachsene, japanische Animes. Also, die wirklich komischen. Neugierig macht das schon. Es klingt nach Spaß, nach einer anarchischen und pubertären Freude an der kranken Idee: nach absurden Einfällen, die selbstkritiklos auf die Seiten gerotzt werden: Die Pop-Version von Naked Lunch.

Ein unsäglicher Bizarro-Drache

Pornös-bizarre Bizarro-Titel: „Adolf in Wonderland“ und „The haunted Vagina“

Wenn man dann mal ein paar der bekannteren Titel überfliegt, wird zweierlei deutlich: Erstens, dass man in Bizarro-Land viel Zeit und Mühe dafür verwendet, sich die aberwitzigsten Titel einfallen zu lassen – und dass es dort recht derbe zugehen kann: „Ultra Fuckers“, „The haunted Vagina“, „Monster Cocks“,  „The Jesus Butt Plug“ oder auch „Rampaging Fuckers of Everything on the crazy shitty Planet of the vomiting Atmosphere“ machen unmissverständlich klar, dass hier niemand „schön“-geistige Literatur im Sinn hat. Diese Beispiele verzerren die Wahrnehmung aber bereits, nur ein kleiner Teil bedient sich derart pornösen Vokabulars: Andere üben sich in der alten Kunst der Provokation und bemühen sich, zartbesaitete Zeitgenossen schon beim Blick aufs Cover nach Luft schnappen zu lassen:  „Christmas on Crack“  oder auch „Adolf in Wonderland“ fallen in diese Kategorie.  Unangefochtener  Spitzenreiter in Sachen voll beabsichtigter Geschmacklosigkeit ist allerdings „Ass Goblins of Auschwitz“ von Cameron Pierce. Aus dem schlimmsten Gräuel des 20. Jahrhunderts ein Alptraum-Wunderland zu machen, in dem schwarze Schneeflocken in Hakenkreuzform fallen und in dem die Gefangenen von menschlichen Gesäßen auf zwei Beinen gequält werden, muss man sich auch heute noch erstmal trauen.

Der Bär des Todes

Absurditäten: „Shatnerquake“ und der Verzicht auf allzu Krud-Böses

Aber nur ein geringerer Teil bedient sich einer derartig ätzend-schwermetallischen Bösartigkeit, viele pflegen mehr den absurden bis, na ja, eben bizarren Humor: In „Shatnerquake“ von Jeff Burke etwa gelangen sämtliche Figuren, die William Shatner jemals gespielt hat, in die Realität und trachten fortan dem Original nach dem Leben. In „Help! A Bear ist eating me“ von Mykle Hansen reflektiert der nach einem Unfall unter seinem SUV eingeklemmte Protagonist sein Leben, während das titelgebende Landraubtier ihn sich schmecken lässt. In „It came from below the Belt“ von Bradley Sands reist der Held mittels des Verdauungstrakt einer Giraffe in die Zukunft, wo er seinem vernunftbegabten Genital dabei hilft, die Präsidentenwahl zu gewinnen.

Die menschenverachtende Bizarro-Spinne

Pornoversion der Muppets-Show

Nun hat man von Bizarro Fiction schon einen gewissen Eindruck erhalten und stellt sich das Genre als eine Art neon- und nachtfarbene Variante von Disney oder als die Pornoversion der Muppet Show vor; aber kann der Inhalt halten, was die ausgeklinkten Titel versprechen?  Romane wie die oben genannten waren (bis vor kurzem) hierzulande nur im Original als Import über Ebay zu bekommen, trotzdem ist es nicht schwer, die Probe aufs Exempel zu machen, denn es gibt gleich eine ganze Reihe Online-Magazine, die kostenlos  Prosa und Kurzgeschichten der einschlägigen Autoren zum Download anbieten, z.B. „The Dreampeople“ (www.dreampeople.org) und „Bust down the Door and eat all the Chickens“ (www.absurdistjournal.com). Bei der Lektüre dieser Magazine wird dann schnell deutlich, dass man im Bizarro-Land eine deutliche Vorliebe für kurze Texte hat. Manch einem kann es gar nicht kurz genug sein: In Ausgabe 2 von „Bust down the Door and eat all the Chickens“ allein gibt es acht Texte, die nur aus einem bis drei Sätzen bestehen. Durchschnittlich bringen es die Stories auf eine bis zwei Seiten Länwe und bieten sich damit als schnelles Lesevergnügen für zwischendurch an. Formal ist man dabei durchaus so experimentierfreudig, wie es der eigene Anspruch vermuten lässt: Von klassischen Erzählhaltungen über surreale Stream-of-Conciousness-Landschaften bis hin zu Poesie im Stil von Gebrauchsanweisungen reicht die Palette. Der würzigen Kürze geschuldet, ist die Figurenzeichnung jedoch in den wenigsten Fällen so ausgefeilt – wenn es denn Figurenzeichnung gibt.

Der Feuerteufel im Bizarroland

Bizarro-Fiction: Die vernetzte Verlagslandschaft

Was das Phänomen Bizarro Fiction auch noch recht interessant macht ist das relativ abgeschlossene Millieu seiner Protagonisten. Initialzünder des ganzen sind die drei Verlage Raw Dog Screaming Press, Afterbirth Books und Eraserhead Press, um die sich ein paar Dutzend Autoren scharen. Verlage und Autoren sind offensichtlich gut vernetzt: Die Unternehmen unterhalten gemeinsam die Plattform Bizarrocentral.com und die Einsteiger-Anthologien „Bizarro Starter Kit“ in den Varianten Blau, Orange und Lila; viele der Autoren veröffentlichen auf mehr als einem der drei Verlage. Das lässt einen Moment lang daran glauben, man habe es mal wieder mit einer echten literarischen Strömung zu tun, wie die verschiedenen „-Ismen“ zu Beginn des 20. Jhr. Hat man ja schon lange nicht mehr gehabt, so was.

Wohl bekomm's: Menschenfleisch statt Currywurst

Carlton Mellick III und die „Kannibalen von Candyland“

Bei den Autoren begegnen einem entsprechend eine Handvoll Namen immer wieder:  Steve Aylett, Anderson Prunty, Mykle Hansen, Chris Genoa, Gina Ranalli, Jordan Krall und andere, haben teilweise innerhalb weniger Jahre einen beachtlichen Ausstoß hervorgebracht. Ungeschlagen in dieser Disziplin ist jedoch Carlton Mellick III, der als einer der ersten Bizarro-Autoren seit der Jahrtausendwende stolze 30 Titel veröffentlicht hat, und nicht nur deswegen als eine Art Leitfigur des Genres bezeichnet wird. So ist es auch nicht verwunderlich, dass der Festa Verlag im letzen Jahr seinen Roman „Die Kannibalen von Candyland“ als ersten Bizarro-Roman in einer deutschen Übersetzung herausgebracht hat. Der Titel ist Programm: Franklin Pierce ist überzeugt von der Existenz der kannibalischen Zuckermenschen, seit er als Kind mit ansehen musste, wie seine Geschwister von einem weiblichen Wesen mit Zuckerwattehaaren und Weingummibrüsten getötet und gefressen wurden. Seitdem ist er auf der Suche dem Unterschlupf der klebrigen Unholde, dem Candy Land. Als er es findet, fangen seine Schwierigkeiten erst an, denn er landet in der Gewalt ebenjener Zuckerfrau, die seine Geschwister verputzt hat, und die in ihm vor allem ein Sexspielzeug sieht.

Der Bizarro-Hai

Birarro-Literatur: Ohne literarischen Anspruch?

Nach der gewaltigen Erwartungshaltung, die man sich in Blogs und Magazinen zusammengelesen hat, ist dieser Roman jedoch eine herbe Enttäuschung: Der Titel ist hier tatsächlich das Beste an der Sache. Die Idee vom Menschenfresser-Schlaraffenland ist zwar ganz nett, reicht jedoch bei weitem nicht aus, um einen Roman zu tragen, auch wenn er wie hier nur knappe 160 Seiten lang ist. Und mehr als diese Idee hat Mellick III kaum vorzuweisen. Die Handlung von Franklins Reise ins Candyland und seiner Gefangenschaft bei der Zuckerfrau hätte ohne Probleme auf 20 Seiten gepasst, wird hier aber durch teilweise recht phantasievolle, in der Masse aber ermüdende Beschreibungen des Candylands aufgefüllt. Dazu kommt, dass der in Präsenz gehaltene Schreibstil erschreckend ungelenk und holprig herüberkommt. So weist er eine langweilende Nüchternheit auf, die die vermeintliche Weirdness des Inhalts wirkungslos verpuffen und den ganzen Roman als eine recht bemühte und unbeholfene Angelegenheit erscheinen lässt. Zwar ist der literarische Anspruch von Bizarro Fiction erklärtermaßen zweitrangig, aber ein wenig Mühe sollte man sich schon geben. Vielleicht kann man diese Probleme auch auf eine schlechte Übersetzung schieben, aber wenn man dann bedenkt, dass Carlton Mellick III als einer der anerkanntesten Autoren des Genres bezeichnet wird, lässt das nichts Gutes ahnen.

Das bizarrste Wesen auf dieser Seite des Blogs

Bizarro-Fiction als Marketing-Gag?

Also außen hui, innen Pfui? Ist Bizarro Fiction nur der Marketing-Kniff von ein paar herumkrebsenden Verlagen und minderbegabten Autoren, die weniger eine ausgefallene Vorstellungskraft als ein verzerrtes Selbstbildnis haben? Tatsächlich drängt sich bei vielem, was man in den verschiedenen Magazinen und den Starter Kits liest, ein Eindruck auf, den Verleger und Autoren bei passender Gelegenheit weit von sich weisen: nämlich weird zu sein, um des Weird seins Willen. Dabei haben sich die eingangs erwähnten Vorbilder wie Kafka oder Burroughs jedoch nie erwischen lassen…

Blutsturz-Weinen im bizarren Land

„Flapjack“ von Jeremy C. Shipp – Surrealismus und absurde Literatur

Aber man sollte jetzt auch nicht gleich das endgültige Urteil über das gesamte Genre fällen, denn es gibt auch positive Gegenbeispiele, so zum Beispiel die Erzählung „Flapjack“  von Jeremy C. Shipp, erschienen im blauen Bizarro Starter Kit: Hierin schildert der Autor eine absonderliche, zeitlich und örtlich konturlose Welt, deren Bewohner in einer pervertierten Gesellschaft leben, deren weiblichen Mitgliedern mit zunehmendem Alter die Gliedmaßen immer weiter amputiert werden. Dabei bedient er sich einer faszinierenden Kunstsprache aus einem scheinbar degeneriertem Englisch mit spanischen und japanischen Bruchstücken. Hier wird der Anspruch der Bizarro Fiction, außerweltlichen Surrealismus und absurde Literatur in eine unterhaltende Form zu gießen, tatsächlich einmal eingelöst.

Der Pfarrer des Todes

„Ultra Fuckers“ – Bizzaro-Fiction demnächst auf Deutsch

In welche Richtung das Pendel schließlich letztendlich ausschlagen wird, lässt sich demnächst dann auch bei uns überprüfen, denn der Festa Verlag hat inzwischen auch „Ultra Fuckers“ von Mellick III in Übersetzung herausgebracht, eine Kurzgeschichtensammlung vom gleichen Autor ist in Vorbereitung. Auch Voodoo Press, ein weiterer Kleinverlag, hat ab dem kommenden Herbst mehrere Titel wie „Shatnerquake“ von Jeff Burke oder „Der Trip“ von Jeremy C. Shipp im Programm. Man sieht mal wieder, alles was von drüben kommt, wird irgendwann auch hier angeschwemmt. Ob es sich auch durchsetzt, ist eine andere Frage.

Explosive Bizarro-Literatur

3 Kommentare

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Schade, dass die Dinger nicht so gut geschrieben oder übersetzt sind, die Ideen, die du beschreibst, hören sich jedenfalls schon sehr sehr gut an.

Also ich habe Cannibals of Candyland gelesen und es hat mir sehr gut gefallen. Was mir am meisten an dem Buch Spaß gemacht hat waren dieses "Schockeffekte" die hier besser eingesetzt werden als mancher Horrorfilm. Mir ist klar das der Roman nicht perfekt geschrieben ist aber wie Sie selbst meinten geht es den Bizarro Fiction Autoren nicht darum. Mir fällt da gerade Douglas Adams (Per Anhalter durch die Galaxies) ein der sich in seinen Geschichten teilweise total verirrt und die Story nur auf umwegen zu einem Ende führt. Trotzdem liebe ich seine Geschichten für den tollen Humor, genauso wie ich Mellicks Geschichten für seine verrückten einfälle liebe. Ich bin mir sicher das jeder der Spaß am Absurden hat bei Bizarro Fiction auf seine Kosten kommt.  Wenn ich ihnen einen technisch etwas "besseren" Autoren empfehlen darf wäre das Chuck Palahniuk (FIght Club, der Simulant) der den schwarzen Humor der BF Autoren teilweise übertrifft aber dabei realistischer bleibt.
Moses Mc Dermid 

Von seinen Ideen her  verdient der Roman die Bezeichnung bizarr durchaus. Auch wenn er mir insgesamt nicht gefallen hat,  hat er doch eine Reihe von Einfällen, die Mellick III gnadenlos bis zum Ende durchdenkt und den Leser damit ziemlich aus der Reserve lockt – wie z.B. die Paarungsgewohnheiten der Zuckermenschen. Der ziemlich mechanisch wirkende Präsenz-Stil hat es mir dann aber doch verleidet.
Möglicherweise klingt der Artikel auch verächtlicher als er eigentlich gemeint ist, denn ein Experte in Sachen Bizarro bin ich wahrlich nicht – es geht mehr um den ersten Eindruck nach der Neugier-Phase. Aufgegeben habe ich das Genre noch nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich unter den schon fast zahllosen Veröffentlichungen noch eine ganze Reihe Perlen verstecken –  man muss eben danach suchen, so wie in jedem Genre.
 
Chuck Palahniuk ist mir natürlich ein Begriff, gehört auch zu meinen persönlichen Favoriten. Ich würde mich sogar zur der Behauptung versteigen, das Bizarro Fiction ohne Chuck P. gar nicht möglich gewesen wäre 🙂 
 

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