Als dem Geschichten-Erzähler Frank Miller die Geschichten ausgingen und seine Leser hofften, er würde sie mit „Xerxes“ & „Holy Terror“ wiederfinden

Das Warten auf Neues vom ehemaligen Comic-Innovator Frank Miller

Frank Miller, der mal der größte amerikanische Geschichten-Erzähler in den Superhelden-Comics gewesen war und in schöner Regelmäßigkeit ein Meisterwerk nach dem anderen abgeliefert hatte, spannt seine Fans nun schon seit Längerem auf die Folter und terrorisiert sie mit seinen Ankündigungen diverser Projekte in Comic und Film, die entweder nicht realisiert werden oder zumindest lange auf sich warten lassen.

Aus der Gosse zum Comic-Superstar

Der Comic-Autor und -Zeichner ist wohl immer noch der berühmteste amerikanische Comic-Schöpfer. Selbst wenn man bedenkt, dass seine großen Erfolge in den Comics schon zurückliegen und er zudem als Regisseur im Hollywood-Filmbusiness etwas strauchelt. Der große Geschichtenerzähler, der Mann, der die richtigen Worte mit den richtigen Bildern koppelte, war ein Produkt des amerikanischen Traums; denn er war noch nicht einmal Tellerwäscher gewesen, als er in New York ankam. In dieser Zeit, wird kolportiert, hatte er nämlich irgendwann gar nichts mehr zu essen und musste in der Gosse schlafen. Bis er eines Tages zunächst mit Comics zeichnen, dann mit Comics schreiben berühmt wurde und später viel Geld verdiente. Und er war von Montpelier in Vermont tatsächlich nach New York City gekommen, um Comics zu zeichnen.

Die Bedeutung des Werkes: Zwischen Innovation und Gewalttätigkeit

Im Nachhinein schwierig bei der Bewertung der Leistung eines Kulturschaffenden wie Frank Miller ist die historische Einordnung seines Werkes. Denn ihre Sprengkraft entfaltet so eine Leistung erst vor dem Hintergrund der Vorläufer und des damaligen Umfeldes. Soll heißen: Frank Miller hat gleich einige Maßstäbe in fast allen Bereichen der Superhelden-Comics gesetzt, die einen großen Einfluß auf andere Comic-Autoren und -Zeichner gehabt haben. Mit „Elektra“ zum Beispiel eine wirklich überzeugende weibliche Super-Heldin einzuführen, war etwas, was man in dieser Konsequenz und Glaubwürdigkeit bis dahin nicht gekannt hatte. Oder sich bei der Miniserie „Ronin“ zeichnerisch von den amerikanischen Wurzeln zu entfernen und sich von japanischen und europäischen Vorbildern inspirieren zu lassen, war im damaligen Bezugsrahmen innovativ. Den angestaubten Daredevil wieder zum Leben zu erwecken durch originelle und sehr cool charakterisierte Figuren und auch dadurch, einen neuen personellen Mikrokosmos um ihn herum zu schaffen, in dem die Protagonisten authentischer als üblich rüberkamen – das wies in dieser Form weit über die üblichen Hau-drauf-Comics hinaus. Obwohl Miller-Comics andererseits wegen ihrer Gewalttätigkeit und später wegen ihres unverholenen Sexismus gescholten wurden.

Wo war Frank Miller ein Wegbereiter?

Die Liste der Beispiele seiner Errungenschaften ließe sich dennoch weiter verlängern: Man denke nur an das „Elektra:Assassin“-Artwork von Bill Sienkiewicz (nach dem Script von Frank Miller), das einem Kulturschock gleichkam. Und nicht zuletzt an die „Sin City“-Comics, in denen Miller noch einmal völlig anders als vorher definierte, was es heißt, zeichnerische Reduktion bis an die Grenze zur Abstraktion zu führen und dabei dennoch ein Massenpublikum zu erreichen. „Sin City“ pustete damalig alle anderen Superhelden-Comic-Zeichner deshalb aus den Schuhen, weil sowohl viele Vorgängerarbeiten, an denen Miller selbst beteiligt gewesen war, als auch der Comic-Mainstream, wie ihn der New-Wave-Verlag Image-Comics geprägt hatte, detailverliebt und manieristisch waren, während Miller in einer nie dagewesenen Hauruckaktion bewies, dass weniger wirklich mehr ist: Dass ein gekonnt gesetzter simpler Strich und eine satte schwarze Fläche in ihrer Einfachheit gegenüber den Viel-Strich-Orgien der Kollegen ein Vielfaches an Wirkung entfalten konnte. Miller wirkte innerhalb der Comic-Szene tatsächlich wie eine Art Messias. Er brachte nicht einfach nur eine konzentrierte zeichnerische und erzählerische Qualität in die Comics, nein, er wuchtete sie eine ganze Stufe höher. Superhelden-Comics waren mit ihm endgültig erwachsen geworden. Sein Batman war postmodern und klassisch, sein Realismus knallhart und karikaturenhaft zugleich. „Frank Miller“, das ist fast schon eine eigene Kategorie innerhalb der Comics geworden.Witzig zum Beispiel auch, dass ein Überzeichner wie Jim Lee, der Frank Miller technisch haushoch überlegen ist, unter dem Eindruck des Erscheinens von „Sin City“ für ein leider unvollendetes Projekt seinen Zeichenstil radikal dem von Miller angepasst hatte, so als hätte er nichts Besseres zu tun, als sich vor seinen berühmtem Kollegen in dieser Form zu verneigen. Tatsächlich sind solche Ereignisse ein deutlicher Indikator dafür, wie ungemein einflußreich die Stilistik von „Sin City“ werden sollte.

Vom Comic-Schöpfer zum Filme-Mann

Doch das war aus heutiger Perspektive gesehen für ihn erst ein Anfang, weil es ihm nicht genug war. Frank Miller litt vielleicht wie jeder andere Comic-Schöpfer darunter, dass Comics bis zum heutigen Tage ein Medium zweiter Wahl sind. Der beste Zeichner und Autor ist in der Öffentlichkeit nicht viel mehr als ein Produzent visueller Groschenromane. Er steht nicht im Rampenlicht, blinzelt nicht im Blitzlichtgewitter. Als Miller mit „The Dark Knight returns“ über die Grenzen der Comics hinaus als Autor Zuspruch in den Feuilletons bekam, argumentierte die Journallie trotzdem unbewußt aus der kulturellen Defensive heraus: Frank Miller wurde neben Alan Moore mit seinen „Watchmen“ als Sonderfall charakterisiert. Das Medium Comic blieb, trotz allen Erwachsenseins ein Medium zweiter Klasse. Das in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit wichtige Leitmedium bleibt der Kinofilm. Kino ist der Ausgangspunkt einer endlos langen medialen Verwertungskette, der Quell, in dem Stars und wichtige Leute geboren oder wiedergeboren werden. Dort sind die Lorbeeren zu holen, dort sind unter Umständen sagenhafte Etats vorhanden und nicht bei den schnöden Comics. Die Stunde vieler ambitionierter Comic-Schaffender in Richtung Film und Fernsehen schlug auf breiter Front noch einmal mit voller Wucht, als der Bewegtfilm die Superhelden-Comics als Kreativ-Reservoire für Geschichten und Stoffe ausmachte und die ersten Superhelden w ie „Spiderman“ oder „X-Men“ im  Kino Kasse machten. Frank Miller war schon lange vorher nach Hollywood gegangen, arbeitete als Autor für ein paar „Robocop“-Filme – wobei der wirklich gute „Robocop“-Film der erste Teil von Paul Verhoeven blieb, der, an dem er nicht mitgearbeitet hatte. Miller sollte sich zunächst verbittert aus dem Filmgeschäft zurückziehen und den Vorsatz mit nach Hause nehmen, dass er nie wieder für den Film arbeiten würde, und wenn vielleicht doch, dann nur, wenn er die Kontrolle behielte. Übrigens stammt aus der Feder von Frank Miller auch die hervorragend erzählte Geschichte für eine „Robocop“/„Terminator“-Comic-Miniserie, die von Walt Simonson gezeichnet wurde, die aber im OEuvre Millers etwas unterbewertet ist. Interessant ist, wie Miller innerhalb des etwas ausgelatschten Themas neue Akzente setzen konnte – auch wenn die zum Bersten spannende Story außer einer guten Geschichte nichts Neues brachte.

Frank Miller schafft mit Sin City zunächst den Durchbruch beim Film

Irgendwann jedoch sprach Robert Rodriguez, Buddy von Quentin Tarantino (mit dem er „From Dusk till Dawn“ gedreht hatte) Frank Miller an, ob der nicht bereit wäre, ihm die Rechte an seinen „Sin City“-hard-boiled-Comics zu überlassen. Miller blieb zunächst hart, weil er keine Lust hatte, sein geistiges Eigentum von einem Filmemacher vergewaltigen zu lassen. Doch Rodriguez war von den „Sin City“-Geschichten so angetan gewesen, dass er weiter nervte und ein Probefilmchen fertigte, das Miller schließlich überzeugte. Die beiden wurden ein Regisseur-Gespann, wobei Miller sich manisch darauf konzentrierte, jedes noch so kleine Detail aus den Comics auch für den Film umzusetzen. Im Zusatzmaterial der „Sin City“-DVD kann man dies in ein paar interessanten Features sehen. Nach dem „Sin City“-Comic schuf der „Sin City“-Film 2005 ebenfalls eine neuartige Ästhetik, wurde ein großartiger Film und in der Filmwelt viel beachtet. Auch „300“, ein weiterer Comic von Frank Miller, wurde in der Verfilmung von Zack Snyder als Regisseur und mit Frank Miller als Produzent nicht nur ein Kassenschlager sondern ein Prototyp für eine neue Art von Hollywood-Film.

Der Comicschöpfer ist plötzlich angesagt in Hollywood

In dieser Zeit war der Name „Frank Miller“ angesagt in Hollywood. Man traute ihm viel zu. Man konnte eine zeitlang über ein halbes Dutzend Filmprojekte lesen, bei denen er Regie führen sollte. Allein: Kein weiteres dieser Projekte wurde bis heute realisiert. Denn Miller drehte im Alleingang den Film „The Spirit“ ab, der nicht nur Kassengift sondern tatsächlich – trotz einer umwerfenden Visualisierung – bodenlos schlecht erzählt war. Selbst das hätte unter normalen Umständen noch nicht viel bedeuten müssen. Wenn nicht ein dermaßen unspannend erzählter Film vom größten Erzähler der amerikanischen Comics gedreht worden wäre.

Die Enden des Erzählens: Vom spannenden Plot zur Einschlaf-Story

Wegen dieses unverkennbaren Widerspruchs, der einem kreativen K.O.-Schlag gleichkam, begannen die Leute genauer hinzusehen. Zunächst fiel auf, dass seine Robocop-Arbeiten nicht wirklich beeindruckend gewesen waren. Miller sagte darüber, dass er sich dort nicht habe entfalten können, dass die Scripts nicht aus seiner Feder allein kamen, sondern dass dauernd reingepfuscht worden war. Eben ein typischer Hollywood-Vorgang. Einer wie viele andere, an denen die Schreiberlinge innerlich zugrundegegangen sind, die nie ihre Geschichten erzählen durften, weil die Studios oder die Leute am längeren Hebel es anders wollten. Auffällig an „Sin City“ und „300“ war dann aber andererseits, wie sehr sich die Filme auf die Comics als Originalvorlagen bezogen: Sowohl, was die Geschichten als auch was Bildaufbau und Bildwirkung anbelangt. Dass diese Filme so nah an den Millerschen Originalen lagen, damit Erfolg hatten und darüber hinaus eine neue Bildsprache fanden, hängt damit zusammen, dass Miller trotzig war und seine geistigen Kinder nur in die Medienwelt entlassen wollte, wenn er damit vollständig zufrieden war. So nahm er mal tituliert als „Regisseur“, ein anderes mal creditiert als „Produzent“ tatsächlich eher die Funktion eines Art Directors ein, der über den Stil der Filme wachte. Genau das nämlich ist die Verbindung zwischen „Sin City“, 300 und The Spirit.

Todsünden: Langatmigkeit, falsches Timing und Spannungslosigkeit

Beim Dreh von „Sin City“ konnte Frank Miller übrigens nähere Bekanntschaft mit Quention Tarantino machen, der vom furiosen „Pulp-Fiction“-Erzähler zu einem selbstverliebten am laufenden Band filmezitierenden Quasi-Regisseur mutiert war. Im Extended-Cut der „Sin City“-DVD kann man den dialoglastigen Tarantino-Beitrag in voller Länge sehen – und nur noch gähnen. Nicht nur Tarantino oder die Wachowsky-Brüder mit ihrem 2. und 3. Teil der Matrix-Triologie wollten plötzlich so etwas wie Kunst machen und verlernten dabei zu erzählen. Auch Frank Miller schien sich irgendwann zu stark zu fühlen, und vergaß darüber seine Leserschaft und seine Zuschauer. Schon die jüngsten „Sin City“Folgen, „Martha Washington“ und vor allem „All Star Batman an Robin the Boy Wonder“, seine letzte Arbeit für die Comics, zeigten eklatante Schwächen in Charakterisierung, Dramaturgie und Erzählung. Auch der lang erwartete Nachfolger zu „The Dark Knight Returns“, einer der besten Comicgeschichten überhaupt, der Band „The Dark Knight Strikes Again“, war erzählerisch zu langatmig und für Comicbegeisterte eine Enttäuschung gewesen. Zwar ist es nicht so, dass an dieser Arbeit nicht auch Gutes zu finden wäre, so sind die meisten Plots, die Miller schreibt, eigentlich immer klug konstruiert – das gilt auch für „The Spirit“ – aber die genannten Arbeiten kranken an Langsamkeit, falschem Timing und zu wenig Spannung. Diesem Werk Millers fehlte der früher stets vorhandene Spannungsbogen, der jedem einzelnen seiner Bilder Dramatik verliehen hatte. So wie er den gealterten „Dark Knight“-Batman psychologisch glaubwürdig hergeleitet hatte, war es nie wieder danach. Selbst die erfolgreichen „Sin City“-Charaktere wirkten nicht mehr menschlich sondern wie ein seelenloses Sammelsurium stark abstrahierter und überhöhter Charaktere. Die Spartaner aus „300“ kann man als Karikaturen eines überschnappenden Männlichkeitswahns sehen. Wenn Miller im Film „The Spirit“ vorhersehbar die Geschichte des Helden aus seiner Kindheit herleitet und ihm dort seine Jugendliebe begegnen lässt, wirkt das wie der stilisierte Versuch, etwas Menschliches einfließen zu lassen, was aber nicht klappt, weil es gar nicht mehr vorhanden ist.

Ein Panel aus "Xerxes" von Frank Miller

Jenseits der Kritik: Frank Miller, der Zeichner

Was bei all dem bleibt, ist Frank Miller der Zeichner, der Art Director und Ästhet. Doch die Experten sind sich eigentlich sehr einig, dass die Revolution, die er in den Comics mit losgetreten hatte, mehr als das dem innovativen Erzähler geschuldet ist. Miller hatte bereits mit seinem ersten Coup, der Reanimation des scheintoten Charakters „Daredevil“, der ihn zeitweilig zum meisterverkauften Comicheft in den USA hatte werden lassen, ein Comic geschaffen, das eines Will Eisner würdig war. Er hat dort mit „Elektra“ zum ersten Mal eine wirklich prägnantre Frauenfigur kreiert, deren Tod damals Millionen Leser in ihren Bann gezogen hatte. Er hat mit „Ronin“ eine erwachsene und modern erzählte Geschichte geschaffen, die nebenbei das ganze Medium als triviale Fluchtburg hinterfragte, intelektuell herausfordernd und dennoch unterhaltsam war. Er hat, als er schon eine lange Karriere hinter sich hatte, dann noch provokante Werke wie „Hard Boiled“ oder „Big Guy and Rusty Man“ mit Geoff Darrow geschaffen, bevor „Sin City“ kam.

Panel aus dem Xerxes-Comic

Hollywood zeigt Frank Miller die Zähne

Nachdem sich herausgestellt hatte, dass das Filmprojekt „The Spirit“ ein erzählerischer und kommerzieller Misserfolg geworden war, zeigte sich in Miller der alte Trotz, der ihn in der Vergangenheit schon dazu geführt hatte, dass er sich mit der gesamten etablierten Comic-Industrie angelegt hatte. Ein Trotz aber auch, der ein widerborstiges Werk wie „The Dark Knight Returns“ erst möglich gemacht hatte. Miller jedenfalls kommentierte seinen Misserfolg, mit der lapidaren Flucht nach vorne, kommerzielle Erwägungen seien beim Filmemachen nicht alles. In Hollywood empfand man Miller danach plötzlich nicht mehr als den großen Heilsbringer. Avisierte Projekte verschwanden sang- und klanglos in schwergängigen Schubladen. So war eines seiner unumstrittenen Meisterwerke – „Batman Year One“ in Kooperation mit dem Zeichner David Mazzuchelli – für ihn vor über 10 Jahren ein filmisches Thema gewesen: Er hatte zu dieser Zeit schon das Film-Script fertig gestellt, das von Darren Aronofski verfilmt werden sollte. Doch wie im Film-Business üblich, kam alles anders, der Film wurde nie realisiert und es kamen anstatt dessen die Batman-Adaptionen „Batman begins“ und „The Dark Knight“ von Christopher Nolan ins Kino, machten mächtig Kasse und begeisterten die Kritik. Miller war raus. Dafür soll im Oktober diesen Jahres ein ambitioniert animierter Zeichentrickfilm nach Millers Vorlage das Licht der Welt erblicken. Für 2012 ist die Verfilmung seiner „Wolverine“-Miniserie avisiert, die er gekonnt gezeichnet, nicht aber verfasst hatte. Aber bei beiden Projekten tritt Frank Miller nicht als Filmemacher an sondern ist nur der, nach dessen Comicvorlagen gefilmt wird. Darüber hinaus kursieren Gerüchte über einen Animationsfilm nach Millers KlassikerThe Dark Knight Returns. Genaues darüber, wer diesen Film macht, ist noch nicht bekannt. Was noch bleibt, sind diverse Ankündigungen, Rodriguez und Miller würden an „Sin City 2“ arbeiten. Zur Zeit hört man, dass endlich die Dreharbeiten dazu in greifbarer Nähe liegen, nachdem Miller das Script geliefert hat. Es soll in diesem Jahr losgehen. Zwischenzeitlich war Frank Miller als Regisseur eines seelenlosen High-Tech-Werbekurzfilmes in Erscheinung getreten. Es scheint sich aber durch das hoch und runter im Filmgeschäft sein Zweifel an den Mechanismen Hollywoods wieder verfestigt zu haben.

Ein Bild aus Frank Miller's Xerxes

Das Ende der Comic-Karriere?

So kehrt Frank Miller nach einer kleinen Ewigkeit zu den Comics zurück. Aber wirklich auch mit unbedingter Leidenschaft, die nötig wäre, etwas Besonderes zu schaffen? Es ist bedenkenswert, dass sein letztes großes Werk, der „Sin City“-Zyklus, bereits 1999 beendet war und dass er seitdem nur zwei größere Arbeiten veröffentlicht hat: Einmal „The Dark Knight strikes again“ und zum anderen „All Star Batman and Robin the Boy Wonder“ als unregelmäßig erscheinende Miniserie von 2005-2008 in Kooperation mit Zeichner Jim Lee. Beide Projekte konnten weder Kritik noch Fans überzeugen. Das alles wirkt, als sei die lange alte Karriere des prägenden Comic-Schöpfers beendet.

Titelblatt des Dark Horse Magazines

Der neue Comic und der neue Film: Xerxes

Miller, der als junger Mann vom Lande lernen musste im Moloch New York zu überleben und sicher über einiges Know-how im Krisenbewältigen verfügt, versucht aktuell ein hybrides Comeback. Zum einen arbeitet er seit längerem an einem Comic-Sequel von „300“, das sowohl als Comic als auch als Film-Adaption künstlerisch und monetär hatte überzeugen können. Zeitgleich zur Entwicklung der Comicgeschichte „Xerxes“, die wie „300“ bei „Dark Horse“ erscheinen soll und schon vorangekündigt ist, hat er ein Filmscript geliefert. Comic und Film sollen parallel bearbeitet werden. Regisseur des Filmes sollte Zack Snyder werden, der auch „300“ und „Watchmen“ gedreht hatte. Jedenfalls könnte der Comic vermutlich in diesem Jahr vielleicht rechtzeitig fürs Weihnachtsgeschäft in den USA und Anfang nächsten Jahres in Deutschland in die Kinos kommen. Man darf gespannt sein, ob Frank Miller sich mit diesem Sequel einen Gefallen tut. Er scheint sich jedoch für den antiken Stoff sehr zu interessieren.

Titelfigur Xerxes im neuen Frank-Miller-Comic

Bereits vor Erscheinen viel diskutiert: Die neue Grafic-Novel Holy Terror

Im Augenblick aber noch viel konkreter und viel mehr diskutiert ist die Grafic Novel „Holy Terror“. Miller arbeitet seit Jahren daran und war davon ausgegangen, dass es ein Batman-Project für DC wird. Doch nachdem er das Material dort vorgelegt und besprochen hatte, verkündete er, er wolle es nicht mehr als Batman-Geschichte herausbringen. Vieles spricht dafür, das DC die Geschichte nicht verlegen wollte, weil die nach dem, was man weiß, plumpe, undifferenzierte Propaganda ist, die den Markennamen von Batman beschädigen würde. Miller hingegen stellt die Vorgänge so dar, dass er sich dagegen entschieden habe, die Geschichte als Batman-Story erscheinen zu lassen. Weil DC zu viele Änderungen verlangt hat? Das, was man an Artwork bisher gesehen hatte, sieht aus wie Batman ohne Ohren – die hat Miller wohl wegretuschiert – und mit einem weiblichen Sidekick versehen, der wie Catwoman wirkt. Die Geschichte ist politisch: Ein Dirty-Harry-Verschnitt, genannt „The Fixer“, kämpft gegen „Al Quaida“. Was man von Miller im Vorfeld dazu hören konnte, schürrt alle Vorurteile, die man gegen undifferenzierte Comics haben könnte. Miller sagte in einem Interview, er habe durch die Flugzeug-Terrorangriffe am 9.11.2001 auf das Word-Trade-Center und das Pentagon umgedacht, was Patriotismus anbelangt. Vorher habe er ihn belächelt, nun hätten sich seine Sichtweisen angesichts der Toten in seiner unmittelbaren Nachbarschaft gewandelt. Das Hardcover-Buch wird am 14.11.2011, also kurz nach dem sich die Terrorereignisse in den USA zum zehnten Mal jähren, in einem Umfang von ca. 120 Seiten bei Legendary-Comics erscheinen und rund 30 Dollar kosten. Manchem scheint der Zeitpunkt mit Bezug auf den 11. September 2001 viel zu spät oder nicht passend, andere vermuten, Miller werde damit die Islam-Feindlichkeit schüren. Kein Wunder, sprach er doch freimütig davon, der Band wäre „Propaganda“. Doch keiner der Rezensenten hatte den Comicband bis hierhin zu Augen bekommen, es gibt nur zahlreiche Mutmaßungen. Die ersten fünf vorveröffentlichten Seiten wirken teils expressiv und hart im Strich. Es sind Ganzseitenpanals. Für mich stellt sich die Frage, ob man ein Buch mit 120 ganzseitigen Illustrationen erwarten darf (ähnlich wie es Hans Hillmann bei Fliegenpapier gemacht hatte) oder ob die Geschichte zu klassischen Seitenaufteilungen zurückkehrt.

The Fixer: Der Held in der neuen Grafic Novel von Frank Miller

Frank Miller verkauft sich immer noch gut

Frank Miller scheint sich in einem Zwiespalt zu befinden. Der erfolgreiche Comicschaffende der 1980er und 1990er Jahre hat schon lange keine Comics mehr gemacht, die wirklich eingeschlagen sind. Sein Nimbus lebt fort in immer neuen Pracht-Ausgaben und Nachdrucken seiner in der Mehrzahl beeindruckenden Werke, von denen die meisten Comicgeschichte geschrieben haben. So gibt es in Deutschland zum Beispiel aktuell eine Nachauflage des Hardcovers von „Bad Boy“, seiner Kooperation mit Zeichner Simon Bisley, in diesem Jahr ist die dreiteilige Gesamtedition von „Martha Washington“ zuende geführt worden und immer noch ein Sammelband seiner „All Star Batman and Robin the Boy Wonder“-Geschichten erhältlich. Überzeugen – vielleicht auch: Sich selbst überzeugen – konnte er als Erzähler schon lange nicht mehr. Da Miller aber auch ein einflussreicher und origineller Zeichner war und ist, ist die Marke „Frank Miller“ noch nicht abgewertet. Man muß bei alledem sehen, dass ein Frank Miller-Comic in den USA sich grundsätzlich fast immer gut verkauft. Selbst sein „All Star-Batman“ hat in schöner Regelmäßigkeit die Verkaufs-Hitparaden angeführt.

Von Frank Miller vorab veröffentlicht: Die Ikonosierung der Zeichen "Stern", "Kreuz" und "Ground Zero" durch Frank Miller

Frank Miller, der Provokateur

Neben Frank Miller dem Zeichner und Frank Miller dem Autoren gibt es noch einen Dritten: Den Revoluzzer und Aufmucker. Er hat die gesamte Comic-Industrie verändert, weil er unnachgiebig für die Rechte und die gerechte Entlohnung der am Fließband produzierenden Zeichner und Autoren gestritten hat. Ihm ist es indirekt zu verdanken, dass ein unabhängiger Verlag wie „Image Comics“ überhaupt entstehen konnte, den Zeichner gegründet hatten, die sich von den Großverlagen losgesagt hatten (um später zu ihnen zurückzukehren). Dieses „Gegen-den-Strom-schwimmen“ hat der Autor Frank Miller, der auch stets für mehr Liberalität und gegen Zensur eingetreten war, auch in seinen Geschichten realisiert. Frank Miller hat in „The Dark Knight strikes again“ den Superhelden-Mythos dekonstruiert. Da er dort – im Gegensatz zu Allen Moore und seinen „Watchmen“ – in „Batman“ und „Superman“ amerikanische Wahrzeichen und Heiligtümer auf den Boden der Realität gerissen hatte, wirkte dies viel radikaler auf die Comickultur ein.

Die Banner-Werbung für "Holy Terror"

Die Verrohung eines Superhelden: Batman auf der schiefen Bahn

Diesen Weg der ungefilterten und unzensierten Darstellung ging er in „Sin City“ weiter und potenzierte es in „All Star Batman an Robin the Boy Wonder“ noch einmal. In dieser Heftserie stellte er „Batman“, der in „The Dark Knight strikes again“ schon psychische Probleme gehabt hatte, als vollständigen Egomanen und Beinahe-Irren dar, beraubte ihn als Figur also vollends seiner positiven Eigenschaften. Durch diesen inhaltlichen Ansatz eckte Miller bei DC und auch bei vielen Kritikern zusehends an. Ein Heft musste sogar aus dem Verkehr gezogen und neu gedruckt werden, weil es totz der zotigen Sprache unzensiert in den Handel gekommen war. Man kann vermuten, dass Frank Miller bezüglich der Radikalisierung seiner Skripte mit „Holy Terror“ noch einen Schritt weiter gegangen ist und es deshalb zu einem Zerwürfnis mit DC über dieses Projekt gekommen ist. Wäre jedoch – unabhängig davon – „All Star Batman an Robin the Boy Wonder“ besser geschrieben, hätte Miller ein wesentliches Argument auf seiner Seite, das ihm auch bei seinem „Dark Knight“ geholfen hatte.

Titel dr GraficNovel "Holy Terror", die bei "Legendary-Comics" erscheint

Die Ingredienzien: Menschenverachtung und Sexismus

Miller hat immer zum Tabubruch tendiert. Dafür lieben ihn seine Fans. Die Gewalt in „300“ oder „Sin City“ ist zum Beispiel völlig menschenverachtend. Man könnte zusammenfassend behaupten, dass sein Alterswerk immer expliziter, gewalttätiger und sexistischer geworden ist. Man kann sich darüber hinaus des Eindrucks nicht erwehren, dass diese eher plumpen Ingredenzien die Eleganz seiner früheren Scripts – man denke an „Elektra:Assassin“ oder „Ronin“ – verschüttet haben. Während Miller in fast allen seinen selbst verfassten Werken immer für eine Überraschung gut war, sowohl erzählerisch-dramaturgisch als auch zeichnerisch – repetiert er inzwischen auf hohem zeichnerischen Niveau die alten Schemata und wird vorhersehbar. Bei „300“ weiß man die ganze Zeit über, wie die Geschichte enden wird und „Sin City“ ist sowieso bereits seit dem ersten Band nicht mehr als eine Anhäufung von Klischees. Nicht zu sprechen von den zunehmend revisionistischen Tendenzen Millers und den Inhalten, denen man einen verbitterten und verbohrten Autor anmerkt.

Eine der ersten fünf Seiten der Grafic-Novel von Frank Miller

Endlich wieder ein Comic und nicht ein Film

Die gute Nachricht aber: Endlich erscheinen wieder umfangreichere Werke vom größten Reformator der Superhelden-Comics der letzten 30 Jahre. So wartet die Comicwelt, von den letzten Werken enttäuscht, auf ein gelungenes Comeback eines der ganz Großen, obwohl die Comic-Insider wohl in Wirklichkeit das skeptische Vorurteil im Kopf haben, dass es eigentlich in die Hose gehen muss. Vielleicht läge die Lösung des Problems darin, dass sich Miller wieder ohne „wenn“ und „aber“ zu den Comics bekennt, dort arbeitet, wo er wirklich großes erreicht hat. Ob er trotz mancher Rückschläge beim Film kürzer treten würde oder dort wie seine Helden in „Sin City“ untergeht, bleibt abzuwarten.

Expressiv: Frank Miller arbeit grafisch wie immer mit harten Bandagen.

Wird der Comic-Veteran die Massen nochmal rocken?

Einem Frank Miller wird man es nicht mehr ewig verzeihen, wenn er schöne Bilder zu schlechten Geschichten und politisch bedenklichen Inhalten liefert. Dafür ist sein Name zu groß, eigentlich fast so groß wie der eines Superhelden. Realistischer ist es aber, dass er auch zukünftig Comics mit Blick auf ihre Verfilmbarkeit kreiert, dafür spricht das Projekt „Xerxes“, das ja wie zum Beispiel „Kick Ass“ parallel als Comic und Film konzipert ist. Das muß nicht schlecht sein, wenn nämlich der doppelte Druck, der dann auf ihm lastet, zu besseren Ergebnissen als zuletzt führt; denn als berühmter Comic-Erfolgsautor durfte er sich fast alles erlauben, es fehlte der kritische Gegenpol in Form eines korrigierenden Redakteurs. Eine solche klassische Arbeitsteilung, das sollte man nicht vergessen, hatte seinen Einstiegs-Erfolg bei der Heftserie Daredevil ja erst mit möglich gemacht.

Frank Miller scheint von Comic zu Comic reaktionärer zu werden.

4 Kommentare

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Hallo Ralf, diesen Artikel von dir zu lesen, ist wie einer dieser langen Nächte am Tresen irgendeiner Kneipe. Kennst du das? Da sitzt so ein Typ neben dir, mit einem beachtlichen Bier-Konsum-Vorsprung, der dich die ganze Zeit mit seiner einen Geschichte zuschwallt. Weil er nur diese eine Geschichte hat und weil er wirklich sicher gehen will, dass du ihn verstehst, wiederholt er alles ständig. Er ist nicht dadurch zu unterbrechen, dass du sagst: "Ja, das habe ich längst verstanden, ich bin doch nicht doof." Er hört sich einfach gerne selbst reden. Am nächsten Morgen gibt's Mundgeruch und einen Kater.

Anfänglich hatte ich deinen Text noch gerne gelesen, kannte ich Miller bisher nur im Zusammenhang mit dem Film Sin City und dein Einstieg machte mich neugierig.

Doch dann wiederholst du dich immer häufiger und das Lesen wird zur Qual. Am Ende bleibt nur das Katerfrühstück. Schade um deine wirklich interessanten Gedanken.

Ralf, du brauchst dringend einen Redakteur, der dir auf die Finger schaut.

Bis zum nächsten, hoffentlich komprimierteren Gedanken.

Gruß, Manfred

Kneipe? Zuschwallen? Mundgeruch? Warum hast Du nicht einfach geschrieben, wo ich mich wiederholt habe? Das wäre das einfachste gewesen. Ändern geht immer.
Habe den Artikel etwas überarbeitet. Viele Wiederholungen waren aber nicht drin. Drei habe ich geändert. Ansonsten war einiges zu redigieren, zuviele Adjektive, falsche Anschlüsse, umständliche Formulierungen usw. Habe auch etwas gekürzt. Dennoch bleibt es ein sehr langer Artikel, und wer nicht gerne viel am Bildschirm liest, kann das als Qual empfinden. Liegt das am Artikel oder an Dir?
Klar, gerade Blogger brauchen eigentlich Redakteure. Das gilt insbesondere für lange Artikel. Soll ich jetzt nichts mehr veröffentlichen, weil es nicht perfekt ist? Mach einen Vorschlag fürs Überarbeiten, ich geh drauf ein.

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